„Einer für alle – alle für einen!“/Apostelgeschichte 2,42-47

Predigt im Gottesdienst in der Peterskirche Murr am Sonntag, 10. Juli 2016 – Siebter Sonntag nach Trinitatis (Gemeindebesuch des Tübinger Albrecht-Bengel-Hauses)

Liebe Gemeinde,
– nein, ich möchte lieber sagen: Liebe Wow-Gemeinde! Und liebe Bengel.

Was für eine Gemeinde! Das dachte ich, als ich eure Homepage gesehen habe. Wow! Hier ist ganz schön was los! Es gibt so viele verschieden Aktionen und Gruppen und Angebote! Die Gemeinde scheint voller netter, begabter und engagierter Menschen zu stecken in allen Altersstufen! Ich muss sagen, zumindest online macht ihr schon mal einen sehr sympathischen Eindruck.

Und auch der Gemeindebrief, den ich mir mal angeschaut habe, lässt mich ahnen: Hier ist eine Gemeinde, die sich aneinander freut. Die Sorgen und Nöte teilt. Aber auch sehr viel Schönes gemeinsam erlebt! Läuft bei euch!

Außerdem hab ich noch nie so viele Konfirmanden auf einmal in einem Gottesdienst gesehen! ;-)

Ihr seid eine Wow-Gemeinde!

Was für eine Gemeinde! Das denkt man wohl auch, wenn man den Text aus der Apostelgeschichte hört, um den es heute geht: Apostelgeschichte 2, die Verse 42 bis 47 – für diejenigen, die mit- oder nachlesen möchten. Da wird berichtet über die allererste Gemeinde. Es ist wie ein kleiner Zeitraffer, den wir hier gezeigt bekommen. In der Apostelgeschichte kommen solche Zeitraffer über das Leben der ersten Gemeinde insgesamt dreimal vor. Jedes Mal wird im Schnelldurchlauf erzählt, was die Gemeinde alles macht. Dass viele Zeichen und Wunder geschehen, neue Menschen zum Glauben finden, alles geteilt wird und sie ständig beieinander sind. „Ein Herz und eine Seele“ wird einmal sogar von ihnen gesagt! Beeindruckend, oder?
Auch eine echte Wow-Gemeinde!

Um diese Leute aus der ersten Gemeinde besser zu verstehen, müssen wir uns kurz anschauen, was bisher geschah …

Die Jünger haben sich verkrochen. Sie waren ja allein. Jesus war weg. Spektakulär ist er erst vom Tod auferstanden und dann in den Himmel aufgefahren! Er hatte ihnen versprochen, dass er alle Tage bei ihnen sein würde, bis an der Welt Ende. Und sie sollten in alle Welt gehen und von ihm erzählen und alle Menschen auf seinen Namen taufen! Aber erst, wenn er ihnen einen „Helfer“ geschickt hat. Seinen Heiligen Geist. Auf den warteten sie jetzt. Schon seit 50 Tagen. Und den brauchten sie auch. Denn alleine konnten sie das nicht. Von Jesus erzählen – das trauten sie sich nicht. Die anderen würden sie bestimmt auslachen. Verachten. Für verrückt erklären. Gefangen nehmen. Verprügeln. Oder noch Schlimmeres. Nein. Alleine machten sie das auf keinen Fall. Deshalb warteten die Jünger und versteckten sie sich.
Doch dann kam er: Gottes Helfer. Der Heilige Geist! Wie ein Feuer kam er auf Sie und durchzuckte sie wie ein Blitz! Es war ein Wunder! Auf einmal wollten sie überhaupt nicht mehr in ihrem Versteck bleiben. Sie gingen raus in die Stadt! Die war voller Menschen. Es war nämlich gerade ein wichtiges jüdisches Fest, zu dem Juden aus dem ganzen Land zum Tempel in Jerusalem pilgerten. Denen erzählten sie von Jesus und vom Heiligen Geist! Und zwar in fremden Sprachen, die sie eigentlich nie gelernt hatten, so dass jeder sie verstehen konnte, egal aus welchem Land er kam! Noch ein Wunder! Petrus, der früher so feige war und geweint hatte wie ein kleines Kind, als er Jesus drei Mal verleugnet hatte, der hielt auf einmal eine krasse Predigt über Jesus, wer er war und dass die Menschen zu ihm umkehren sollten! Das packte die Menschen. Sie nahmen ihn ernst und glaubten seinen Worten. 3.000 Menschen wollten sich an diesem Tag taufen lassen!

So begann alles. Aus den zwölf Jüngern und ein paar Freunden wurden auf einmal Tausende von Jesus-Nachfolgern! Die erste Gemeinde.

Aber das war kein Strohfeuer, was da brannte an diesem Tag. Nicht einfach eine euphorische Massenbegeisterung, die man ein paar Tage später wieder vergessen hat.

Die Menschen, die zum Glauben gekommen waren, trafen sich regelmäßig. Sie ließen sich von den Aposteln unterweisen, pflegten ihre Gemeinschaft, brachen das Brot und beteten.[Apostelgeschichte 2,42]

Wir lesen [in der Luther-Übersetzung]: Sie waren beständig. Das kann man auch übersetzen mit „treu sein“, „dran bleiben“, „sich emsig mit etwas beschäftigen“. Die Gemeinde beschäftigte sich emsig mit dem, was sie erlebt hatte. Das krempelte ihr Leben um.

Vier Dinge werden explizit genannt, an denen sie „dran blieben“: In der Lehre der Apostel, in der Gemeinschaft, im Brotbrechen und im Gebet. Das sind die Merkmale einer christlichen Gemeinde.

So wie auch bei uns:

Wir haben die Lehre der Apostel. Damals waren das wahrscheinlich hauptsächlich die Erlebnisse, die die Jünger persönlich mit Jesus erlebt hatten und die Worte, die er ihnen gesagt hatte. Heute haben wir das alles gedruckt und gebunden in einem Buch – der Bibel.
Und dazu auch noch die ganze bisherige Geschichte Gottes mit seinem Volk, aus dem Jesus stammt.
Und wir haben Gemeinschaft: Wir gehören zusammen in unseren einzelnen Gemeinden, aber auch als Brüder und Schwestern auf der ganzen Welt. Alle die an Jesus glauben gehören zu unserer Gemeinschaft dazu.
Wir brechen das Brot – das heißt, wir feiern Abendmahl.
Und wir beten auch.

Jede Gemeinde kann wahrscheinlich diese vier Merkmale aufweisen.

Trotzdem hat diese erste Gemeinde einen besonderen Wow-Effekt auf mich! Es geht ja noch weiter:

Die Menschen in Jerusalem wurden von Furcht ergriffen. Denn durch die Apostel geschahen viele Wunder und Zeichen. Alle Glaubenden hielten zusammen und verfügten gemeinsam über ihren Besitz. Immer wieder verkauften sie Grundstücke oder sonstiges Eigentum. Sie verteilten den Erlös an alle Bedürftigen – je nachdem, wie viel jemand brauchte. Tag für Tag versammelten sie sich als Gemeinschaft im Tempel. In den Häusern hielten sie die Feier des Brotbrechens und teilten das Mahl voll Freude und in aufrichtiger Herzlichkeit. Sie lobten Gott und waren beim ganzen Volk beliebt.[Apostelgeschichte 2,43-47a]

Was für eine Gemeinde! Jeder teilt mit jedem, der etwas braucht. Keiner steht allein.
Familien verkaufen sogar ihre Grundstücke für die Gemeinde! Diese radikale Opferbereitschaft lag sicher auch daran, dass diese Christen am Anfang ganz fest damit rechneten, dass das Leben hier auf der Erde nicht mehr sehr lang sein würde. Sehr viele hielten diese Zeit damals für die „letzte Zeit“, von der die Propheten im Alten Testament sehr oft sprachen. Sie gingen davon aus, dass Jesus auf jeden Fall noch zu ihren Lebzeiten wiederkommen würde. Darum waren ihnen natürlich ihre Zukunft und auch ihr Besitz nicht mehr so wichtig. Diese Gütergemeinschaft hatte allerdings ihre Folgen. Irgendwann war das Geld leer und Jesus war noch nicht wiedergekehrt. Die Gemeinde in Jerusalem war nach einiger Zeit angewiesen auf Spenden von anderen Gemeinden. Das lesen wir später ab und zu in den Briefen von Paulus.

Aber ist das nicht beeindruckend, wie radikal diese ersten Christen leben? Sie teilen alles! Sie achten die anderen höher als sich selbst. Und das machen sie gerne! Voll Freude treffen sie sich in ihren Häusern und essen gemeinsam und „brechen das Brot“. Das Abendmahl, wie wir es heute feiern, lief damals noch ganz anders ab. Es war nämlich am Anfang immer noch mit einem richtigen Essen verbunden, so wie Jesus damals ja auch richtig mit seinen Jüngern Abendgegessen hatte. Zusammen feiern und essen und Abendmahlfeiern ging quasi ineinander über bei dieser ersten Gemeinde. Das machten sie in ihren Häusern, in kleinen Gruppen.

Aber zusätzlich trafen sie sich noch im Tempel! Tag für Tag! Im Tempel gab es mehrere Vorhöfe und im äußersten gab es die „Halle Salomos“. Dort trafen sich die verschiedenen religiösen Gruppierungen, wie zum Beispiel die ersten Christen. Vielleicht schlossen sie sich dort an die regelmäßigen Gebetszeiten der Juden an.

Auf jeden Fall hatten sie eine sehr enge Gemeinschaft. Sie hielten zusammen. Ich musste dabei sofort an die Isländer denken! Die haben auch einen beeindruckenden Zusammenhalt gezeigt in den letzten Wochen. Und eine Gemeinschaft, die motiviert! „Sie haben gezeigt, was man erreichen kann, wenn man als Gemeinschaft zusammenhält“, hat ein Journalist geschrieben. Alle für einen!

Was mich bei der Gemeinde in Jerusalem aber am allermeisten beeindruckt, sind zwei schlichte Worte in diesem Abschnitt: „in aufrichtiger Herzlichkeit“. Aufrichtige Herzlichkeit, das heißt: keine Heuchelei und keine Hinterhältigkeit. Sondern ehrliche, aufrichtige Freundlichkeit füreinander von Herzen! – Ach! Das klingt doch so richtig nach Friede, Freude, Eierkuchen!

Kein Wunder, dass das anzieht: Jeden Tag kommen neue Menschen dazu und lernen Jesus kennen! Und auch die anderen bleiben beeindruckt: Beim ganzen Volk waren die Christen beliebt.

Was für eine Gemeinde! Ich bin begeistert!

Und ich bin frustriert. Warum läuft es bei uns heute nicht mehr so? Gemeinde ist einsam geworden. Jeder für sich. Kaum jemand nimmt wirklich am Leben der anderen teil und wenn, dann an dem, seiner Familie und Freunde. Aber nicht an dem der  pubertären Konfirmanden. Nicht an dem des frustrierten Arbeitslosen. Nicht an dem der einsamen Witwe. Jeder für sich.

Und das ist ja auch verständlich! Man kann sich ja nicht um alle kümmern! Außerdem kümmern wir uns ja: Um unsere Freunde, um unsere Familie, um die Menschen, mit denen wir gut klar kommen. Aber es gibt ja auch die anderen. Die Anstrengenden und Nervigen. Die Schwierigen und Anhänglichen. Die Gebrechlichen und Kranken. Die Gemeinen und die Arroganten. Wie sieht das bei euch Konfirmanden aus? Könnt ihr gut mit allen? Seid ihr: alle für einen?

Wie kriegt man so was hin? Was ist das Geheimnis dieser Wow-Gemeinde in Jerusalem?

Wie funktioniert so eine enge, liebevolle Gemeinschaft zwischen so ganz unterschiedlichen Menschen?

Ich denke, Jesus war das von Anfang an klar: Wir schaffen das nicht einfach so, einander zu lieben und mit ehrlichem Herzen immer freundlich und einmütig zu sein und einander zu helfen und die anderen höher zu achten, als uns selbst. Deshalb hat er etwas Geniales für uns als Gemeinde organisiert: Das Brot-Brechen. Im Abendmahl passieren nämlich zwei Dinge:

1. Gott vergibt uns! Jesus sagt über das Brot: Das ist mein Leib. Jesus wurde selbst gebrochen, wie das Brot, als er am Kreuz starb. Das tat er für uns. Wegen Jesus ist jetzt zwischen Gott und uns alles wieder in Ordnung gebracht. Uns – ist – vergeben.

Und 2.: Im Abendmahl vergeben wir den anderen. Ich vergebe den anderen, und die anderen vergeben auch mir. Wir kommen als Gemeinschaft – nämlich als Gemeinschaft von lauter dreckigen Sündern – vor Gott und bitten ihn gemeinsam um Vergebung. Und Gott vergibt uns. Er macht uns wieder ganz sauber. Wir werden von ihm gestärkt und geliebt! Wie kann man da die anderen noch hassen?

Kennt ihr die Geschichte von D'Artagnan und seinen drei Freunden? Athos, Porthos und Arami, die drei Musketiere. Die vier stehen sich eigentlich in einem Duell gegenüber. Ihre Freundschaft beginnen sie als Feinde. Aber durch einen noch größeren gemeinsamen Feind, den Kardinal des Königs, schließen sie sich zusammen und kämpfen gemeinsam: Einer für alle – alle für einen!

So ist das auch bei uns: Einer starb für alle – deshalb leben wir jetzt alle für den einen! Jesus starb für alle – deshalb leben wir jetzt alle für ihn!

Nur durch Jesus werden Feinde zu Freunden und Fremde zu Familie. Und Gemeinde zu einem Fest!

Natürlich klappt das nicht immer. Wir sind und bleiben Menschen und werden immer und immer wieder Gottes Hilfe und Vergebung brauchen. Das wird auch bei der ersten Gemeinde so sein. Ihr könnt ja mal zu Hause lesen, wie es da weiter geht.

Aber Gemeinde ist ein kleiner, unvollkommener Vorgeschmack auf die wirkliche Wow-Gemeinde im Himmel, wenn Jesus wiederkommt und Gott mitten unter uns lebt.

Ihr seid eine Wow-Gemeinde! Das hab ich euch am Anfang gesagt. Und das seid ihr immer noch für mich. Aber ihr wisst ja selbst am besten, wo ihr Gottes Vergebung und Stärkung nötig habt. Lassen wir uns doch von dieser allerersten Gemeinde in Jerusalem herausfordern!  Zum Beispiel, indem wir lernen, einander zu vergeben und uns gegenseitig anzunehmen, weil Gott uns alle schon angenommen hat. Und indem wir füreinander da sind. Und so zum Beispiel auch den Konfirmandinnen und Konfirmanden mit aufrichtiger Herzlichkeit begegnen. Vielleicht könnt ihr sie einfach mal zum Essen einladen oder mal fragen, was sie beschäftigt, wie es ihnen geht im Konfirmandenunterricht. Und ihr könnt für sie beten und sie mitnehmen auf euren Weg mit Jesus.

Amen.

Larissa …, Theologiestudentin, Tübingen

Rap zum Thema:

Guten Morgen und Hallo,
ich hab‘ hier heut‘ mal was geschrieben,
aber ich möchte euch damit
nicht nur auf den Ohren liegen,
sondern zeigen wie das geht,
aus was die Kirche so besteht.
Und ich habe auch die Hoffnung, dass ihr ganz am Ende seht,
dass ihr hier richtig steht,
wenn ihr in die Kirche kommt.
Und ich bin kein Prophet,
aber hab‘ es selbst erlebt.
Davon will ich euch erzählen,
möcht’s euch zeigen, nichts verhehlen:
Die Gemeinde ist ein Ort, an dem man wirklich gut leben

– kann, egal, ob Frau oder Mann,
egal ob Jungspund oder Greis,
egal ob schwarz oder weiß,
oder grün und rot oder lila oder gelb,
es ist mir ganz egal, welche Partei du wählst.
Denn ich bin auch schon politisch,
aber hab das nicht studiert
– doch genug mit dem Geplänkel,
jetzt kommt, was mich fasziniert: 

Die Gemeinde ist ein Ort,
wo man sich nicht nur sonntags sieht,
und die Gemeinde ist kein Ort,
wo man nur schweigt oder kniet.
Die Gemeinde ist ein Ort,
da kann man sich schon sonntags treffen.
Doch Gemeinde ist noch mehr
als nur die eintausend Treppen,
die zum Kirchturm hochführen und
danach auch wieder runter,
die Gemeinde ist lebendig, die Gemeinde ist ein bunter
Haufen an Menschen,
die laufen und lenken,
die kaufen und schenken,
die rauchen, sich verrenken,
die taufen und denken,
die taub sind und kränkeln,
die grau sind und ängsteln
und im Urlaub auch mal campen.
Gemeinde ist ein Ort mit ganz normalen Menschen,
Gemeinde ist ein Ort, wo Menschen auch mal kämpfen.
Und jetzt Stopp! 

Unterbrechen wir den Beat. 

Aber flott weiter mit Worten im Betrieb.

Ähm, worum ging es eben?
Ach ja, Gemeindeleben und das bedeutet eben:
Nicht Fluch, sondern Segen,
nicht nehmen, sondern geben,
nicht stehen, sondern gehen.
Eingehen in Gottes Reich,
aufgehen in Herrlichkeit,
zugehen auf die Ewigkeit,
Leben voll in Dankbarkeit.
Die Frage ist: Bist du bereit?
Für ein Leben in Gemeinsamkeit,
als Blickrichtung die Ewigkeit.
Denn was uns letztlich hier vereint
ist mehr, als mancher vielleicht meint:

Es geht nicht nur um ein paar schöne Stunden,
es geht um eine Person und dessen Wunden,
den Gottessohn, für uns geschunden,
er verließ seinen Thron und Er hat uns gefunden.
Er, der Eine, der siegt, der vergibt und der liebt,
der Liebe lehrt und Leere erfüllt,
der Frieden beschert und keinem Gnade verwehrt.
Der dich nimmt, wie du bist, doch nicht lässt, wie du warst,
macht dich zu seinem Kind, macht dich zu einem Star,
einem Stern, einem Juwel, einem Diamant,
ziemlich kostbar, ziemlich edel, wie von Meisterhand.
Der dich schleift, der dich formt, will dich zum Leben führen.
Kein Opfer war für ihn zu groß, er nahm alle Hürden. 

Und das war auch schon alles von mir hier heute Morgen.
Gemeinde ist ein Ort mit Menschen
und mit Sorgen.
Mit Ängsten – und doch: geborgen.
Denn Er wird für uns sorgen.

Jonathan Bühler, Theologiestudent, Tübingen