„Dem Leben begegnen“/Johannes 21,1-14

Predigt im Gottesdienst in der Peterskirche Murr am Sonntag, 11. April 2021 – Quasimodogeniti

   

Später zeigte sich Jesus seinen Jüngern noch einmal. Das war am See von Tiberias und geschah so:2Es waren dort beieinander: Simon Petrus, Thomas, der Didymus genannt wird, Natanael aus Kana in Galiläa, die Söhne des Zebedäus und zwei weitere Jünger.3Simon Petrus sagte zu den anderen: »Ich gehe fischen!« Sie antworteten: »Wir kommen mit. «Sie gingen zum See und stiegen ins Boot. Aber in jener Nacht fingen sie nichts. Als es schon Morgen wurde, stand Jesus am Ufer. Die Jünger wussten aber nicht, dass es Jesus war.5Jesus fragte sie: »Meine Kinder, habt ihr nicht etwas Fisch zu essen?« Sie antworteten: »Nein!«6Da sagte er zu ihnen: »Werft das Netz an der rechten Bootsseite aus. Dann werdet ihr etwas fangen! «Sie warfen das Netz aus. Aber dann konnten sie es nicht wieder einholen, so voll war es mit Fischen.7Der Jünger, den Jesus besonders liebte, sagte zu Petrus: »Es ist der Herr!« Als Simon Petrus hörte, dass es der Herr war, zog er sich seinen Mantel über und band ihn hoch. Er war nämlich nackt. Dann warf er sich ins Wasser.8Die anderen Jünger folgten im Boot und zogen das Netz mit den Fischen hinter sich her. Sie waren nicht mehr weit vom Ufer entfernt, nur etwa 100 Meter.9Als sie an Land kamen, sahen sie dort ein Kohlenfeuer brennen. Darauf brieten Fische, und Brot lag dabei.10Jesus sagte zu ihnen: »Bringt ein paar von den Fischen, die ihr gerade gefangen habt.«11Da stieg Simon Petrus ans Ufer und zog das Netz an Land. Es war voll mit großen Fischen – genau 153 Stück. Und das Netz zerriss nicht, obwohl es so viele waren.12Da sagte Jesus zu ihnen: »Kommt und esst!« Keiner der Jünger wagte es, ihn zu fragen: »Wer bist du?« Sie wussten doch, dass es der Herr war.13Jesus trat zu ihnen, nahm das Brot und gab ihnen davon. Genauso machte er es mit dem Fisch.14Das war schon das dritte Mal, dass Jesus sich den Jüngern zeigte, nachdem er von den Toten auferstanden war[Johannes 21,1-14; BasisBibel]

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder im Glauben,

Entfernungen spielen in der heutigen Welt keine entscheidende Rolle mehr. Durch das Internet bin ich mit der ganzen Welt in fast perfekter Weise verbunden.

Und wenn ich persönlich zu bestimmten Orten aufbrechen will: Auto und ICE, Flugzeug und Raumfähre bringen mich rasch und relativ zuverlässig an fast jedes Ziel.

Die Not und Mühsal der langen Wege ist das Problem von gestern.

Es gibt eine Ausnahme. Ein Weg behält zu allen Zeiten seine qualvolle und manchmal unendliche Länge.

Ein Weg widersetzt sich dem allgemeinen Schrumpfungsprozess.

Es ist der Weg zwischen dem Kopf und dem Herzen eines Menschen.

Was bleibt da nicht alles auf der Strecke!

Wie viele Signale, die vom Kopf ausgehen, gelangen nie oder verspätet zum Herzen.

Wenn mir im Verstand das Licht aufgeht, garantiert dies längst nicht die Erleuchtung meines Herzens.

Sehen wir uns die Jünger Jesu in unserer Geschichte an. Im Kopf war ihnen das Licht aufgegangen.

Im Kopf hatten sie schon Auferstehung gefeiert. Im Kopf hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt: Jesus ist nicht im Grab geblieben!

Im Kopf hatte der Ostermorgen den Karfreitag abgelöst.

Doch in Richtung Herzen kam es zum Informationsstau.

Dort gab es kaum siegesgewisse Anzeichen österlicher Freude.

Wir treffen sieben Jünger am See Genezareth an. Das ist ihre Heimat.

Dort hatten sie ihr tägliches Brot verdient, ihre täglichen Fische eingefangen, bevor sie auf Jesus stießen. Und hier – an ihrem früheren Arbeitsplatz – scheinen sie jetzt unschlüssig, gelähmt und frustriert herumzusitzen.

Die Karfreitagstrauer lastet zwar nicht mehr auf ihnen; aber von österlicher Aufbruchsstimmung ist nichts zu spüren.

Ich will fischen gehen, sagt schließlich Petrus in die flaue Stimmung hinein. Der Chor der anderen Jünger fällt ein: Gut, wir sind dabei.

Und in Gedanken fügen sie hinzu: Was sollen wir auch sonst anderes tun!

So brechen sie zu einem nächtlichen Fischfang auf wie schon tausende Male in früheren Tagen.

Besser als nutzlos herumzusitzen und sich zu langweilen ist das „Schaffen“ in jedem Fall. Und zum Essen muss man auch etwas haben.

Nun scheint es ein Naturgesetz zu sein, dass bei schlechter Laune und trübseligem Denken nicht viel zustande kommt.

Niedergeschlagene Leute machen selten Glücksfänge.

Als die Jünger frühmorgens ihre Netze einholen sind sie leer.

Der Frust steigert sich.

Menschen, die Ostern im Kopf haben, fehlt es an Freude, an Energie und an Mut?

Es ist gut, dass diese Geschichte von den deprimierten Jüngern im Evangelium ihren Platz fand. Selbstverständlich ist das nicht.

Johannes bereitet nämlich in den letzten Versen von Kapitel 20 den Abschluss seiner Schrift vor.

Dass es dann trotzdem noch weitergeht, hat die Theologen immer überrascht. Die Zusatzgeschichten – jetzt also das Kapitel 21 – müssen dem Johannes oder einem seiner Schüler so wichtig gewesen sein, dass man sie später noch hinzufügte.

Ein Nachtragskapitel zum Evangelium. Dieser Bericht vermittelt uns das realistische Bild derer, die an Jesu Auferstehung glauben und auch an die Hilfe, die sie von Jesus erfahren können.

Denn Jesus will, dass aus seinen Jüngern, und uns, Ostermenschen werden.

Jesus will, dass sich die Staus zwischen Kopf und Herz auflösen.

Wie hilft Jesus seinen verzagten Leuten?

Wir gehen am Text entlang und stoßen auf vier Punkte:

1. Jesus hat seine Jünger im Blick

Die Jünger kommen nun kommen also zurück von ihrem erfolglosen nächtlichen Beutezug.

Da sehen sie im Morgengrauen am Ufer eine Gestalt. Sie kennen den Mann nicht. Er ist ihnen auch gleichgültig;

sie haben genug mit sich selbst und ihrer Enttäuschung zu tun.

Jahrelang waren sie Jesus gefolgt.

Er hatte den Ton an- und die Richtung vorgegeben.

Nun fühlen sie sich alleingelassen, verlassen von aller Welt, aber vor allem von Jesus.

Warum gibt er jetzt in Galiläa keine Anweisungen, wie es nach Ostern weitergehen soll?

Warum schweigt er? 

Aber dieser auferstandene Jesus steht am Ufer.

„Jesus-verlassen“ waren die Jünger offensichtlich zu keinem Zeitpunkt.

Seine Augen ruhten auf ihnen beim Auswerfen des Netzes und bei ihrer trostlosen und erfolglosen Rückfahrt.

Was hilft mir das!?

Ich brauche einen, der nicht bloß zuschaut vom fernen Ufer her.

Ich brauche einen, der mir auf der Seefahrt meines Lebens beisteht, sich einmischt, mich wieder in die Spur bringt.

Zugegeben, das schafft Probleme, wenn Jesus nicht sofort eingreift.

Wenn er zunächst am fernen Ufer steht.

Es frustriert, wenn er nicht meine aktuellen Probleme löst.

Aber festhalten dürfen wir, dass selbst wenn vieles daneben geht und die grauen Tage auf Herz und Gemüt lasten – Jesus ist nicht abwesend.

Er wird zur rechten Zeit aus dem Morgendunkel heraustreten.

Er wird zur rechten Zeit sein Schweigen brechen.

Er wird zur rechten Zeit seine Hilfe anbieten.

Dieser eine Satz von Vers 4 ist so wichtig:

Als es schon Morgen wurde, stand Jesus am Ufer.

2. Jesus redet mit seinen Jüngern

Das ist nun doch sehr bewegend.

Und Jesus hält seinen Jüngern keinen Vortrag und auch keine Moralpredigt in dem Sinne:

Nun bin ich euch doch in Jerusalem schon zweimal erschienen!

Ich gab euch sogar einen Auftrag.

Allmählich müsstet ihr doch aus den Löchern eures Trübsinns herauskriechen!  

Mit Appellen kommt man dem Trübsinn nicht bei.

Mit Standpauken erweckt man keine Osterfreude.

Das schafft nur Jesus allein mit seiner unendlichen Liebe.

Und diese Liebe kommt jetzt nicht von oben herab.

Sie begegnet uns auf Augenhöhe und setzt beim scheinbar Vordergründigen an:

„Meine Kinder, habt ihr nicht etwas Fisch zu essen?“

Da möchte man fast dazwischenfahren:

Ach, Herr Jesus, wie kommst du jetzt bloß aufs Essen!

Die leeren Fischkutter und die leeren Mägen sind doch eigentlich nur Nebensache! 


Diesen Burschen fehlt der Durchblick und Ausblick! 


Das stimmt sicher. Und Jesus weiß das auch.

Doch Belehrungen helfen jetzt nicht weiter.

Auf dem Weg zum fröhlichen, Osterglauben sind die kleinen menschlichen Freundlichkeiten hilfreicher.

Und der gestillte Hunger bewirkt nicht automatisch das fröhliche Herz.

Andererseits weiß Jesus um die Bedeutung unserer leiblichen Bedürfnisse.

Der Hunger und alle anderen menschlichen Sehnsüchte haben Einfluss auf unseren inneren Menschen, können ihn auf dem Weg zum Glauben blockieren.

So freundlich begegnet Jesus seinen Jüngern auf der ganz menschlichen Ebene. Und diese kleinen Aufmerksamkeiten und Freundlichkeiten wollen Wegweiser sein zur großen Freude.

„Der Umschwung“ wird oft eingeleitet und beschleunigt durch solche Kleinigkeiten,

sagen wir

durch einen fantastischen Frühlingstag, durch eine gelungene Arbeit, durch den nachlassenden Schmerz, durch ein Wort der Anerkennung und der Zuneigung, durch eine endlich durchschlafene Nacht, durch einen sympathischen Menschen, durch ein Lied, durch eine herrliche Mahlzeit.

Das sind immer freundliche Signale unseres Herrn.

Durch sie redet er mit uns.

Durch sie holt er uns ab in unserer geschöpflichen Existenz.

So praktisch und so lebensnah sehen seine ersten Handreichungen oft für uns aus auf einem vielleicht langen Weg.

3. Jesus erteilt einen Auftrag

Noch bleibt es für die Jünger rätselhaft, wer sich da vom Ufer aus um ihre missliche Lage kümmert. Das lag nicht am düsteren Morgenlicht.

Offensichtlich konnte man Jesus nach Ostern nicht mehr ohne weiteres an seiner Gestalt und Stimme erkennen.

Deshalb tun sich auch viele Menschen so schwer. Sie bringen viele freundliche Signale in ihrem Leben in keinen Zusammenhang mit Jesus.

Er ist für sie nicht erkennbar.

»Glück gehabt«, sagen sie.

»Wir sind noch mal davongekommen«.

Die Jünger lassen sich auf die Anweisung des fremden Mannes ein.

Die übrigens eine total verrückte Anweisung war,

morgens, also bei Tag auf Fischfang zu gehen, wenn man nachts – also zur günstigen Fangzeit – keinen Erfolg hatte,

wie soll er sich dann am Tag einstellen!

Weshalb machen‘s die erfahrenen Fischer trotzdem?

Ich denke, dass sie in dem Moment schon ahnten: Irgendwie steckt hinter der ganzen Sache unser Herr.

Das kurze Befehlswort wird für sie auf Jesus durchsichtig.

Nun mühen sie sich also ein zweites Mal ab.

Am Ende platzt das Netz beinahe aus allen Nähten.

Die Ahnung wird zur Gewissheit:

Der fremde Mann am Ufer ist unser Herr!

Das eigentlich Beglückende waren für sie jetzt nicht die Fische, deren Fülle sie kaum bewältigen können.

Ihr Glück bestand darin, dass sie Jesus erkannten:

Sie sahen ihn. Sie hörten seine Stimme. Sie erfuhren seine Herrlichkeit.

Es gibt nichts Schöneres im Leben, als wenn man die Nähe Jesu so erlebt.

Dann verlieren Angst und Verzagtheit, Missmut und Frust ihren Stachel, ihre Überlegenheit, ihre Deutungshoheit!

Wie kommt es zu dieser Wende, zu dieser Erfahrung der Nähe Jesu?

Einfache Beobachtung und Erkenntnis:

Die Jünger blieben nicht untätig am See Genezareth sitzen.

Sie sagten nicht:

Warten wir halt mal, ob sich Jesus nochmals offenbart:

Lassen wir uns nochmals die Sache mit der Auferstehung durch den Kopf gehen; vielleicht kommen wir gedanklich irgendwie damit klar.

Dann können wir die Sache mit Jesus wieder anpacken.

Nein sie packen es an und genau dabei begegnet ihnen Jesus. 

Auf uns übertragen. Viele sagen: Erst muss ich gedanklich mit Gott und Jesus und dem Glauben klarkommen, dann werde ich mich auch der Bibel und Jesus zuwenden, dann kann ich auch vielleicht sinnvoll beten und mich in der Gemeinde einsetzen. Das ist der falsche Weg. So gelangen wir in die Sackgasse von unlösbaren Theorien.

Nicht wir müssen und können Jesus gedanklich erfassen. Er will sich selbst offenbaren, uns selbst sagen, wer er ist. Das geschieht, wenn wir uns auf das Wagnis seiner Verheißungen und Anordnungen einlassen. Wer Jesus ist, erfährt nur derjenige, der auf seinen Ruf hin aufbricht. Das gilt grundsätzlich und das gilt besonders auch an unseren grauen Tagen.

Es bringt nichts, wenn wir uns im eigenen Frust aalen und uns in unseren Anfechtungen fest installieren. Tu den ersten praktischen Schritt mit Jesus, und auf sein Wort hin und unterwegs wird dir der auferstandene Jesus 
begegnen.

Probieren geht über Studieren.

4. Jesus bewirtet seine Jünger

Der vierte Punkt kann nur noch angedeutet werden: 
Jesus bewirtet seine Jünger

Vielleicht ist das der schönste Aspekt der ganzen Geschichte.

Als die Jünger ans Ufer kommen, ist ihnen von Jesus schon der Tisch gedeckt.

Wie toll ist das, wenn man morgens zu Hause einen gedeckten Frühstückstisch vorfindet oder im Hotel ein Buffet.

Dann sieht der Tag gleich anders aus!

Was heißt das bei den Jüngern am See Genezareth? Vielleicht dies, dass Jesus nichts mehr am Herzen liegt, als uns zu bewirten. Und selbst wenn wir bei unseren Beutezügen mit 153 großen Fischen erfolgreich sein sollten – davon können wir auf die Dauer nicht leben. Schöner als unser volles Netz ist der von Jesus gedeckte Tisch!

Von diesem gedeckten Tisch Jesu leben wir

 – heute und in Ewigkeit.

Unendlich lang und schwierig ist der Weg vom Kopf zum Herzen. aber dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden« (1).

Jesus selbst will uns zum lebendigen Osterglauben führen.

Er will es und er kann es, wenn wir uns auf ihn und sein Wort einlassen!  

Amen.

Heidrun Fink-Koch, Prädikantin, Marbach am Neckar