„Auf Jesus bauen“/Matthäus 7,24-27

Predigt im Gottesdienst mit Eintritt von Daniela Prang und Verabschiedung von Eva Maßwig als Kindergarten-Integrationsassistentin in der Peterskirche Murr am 13. August 2017 – Neunter Sonntag nach Trinitatis

 

Der Schlafphasenwecker lässt klassische Musik erklingen. Holt sie sanft und schonend aus dem Schlaf.

Sie nimmt ihre morgendlichen Tabletten. Rote, grüne, weiße.

Danach ihre persönliche Geheimrezeptur. Kalzium, Vitamine, ein paar Kräuterextrakte.

Nach dem Vollkorn-Müsli etwas Fachliteratur. Sie liest von Krampfadern und massiert ihre dicken Beine.

Sie misst ihren Puls und ihren Blutdruck.

Horcht tief in sich hinein.

Später ihre Gymnastik-Übungen. Die Schulter schmerzt, aber sie beißt die Zähne zusammen. Sie muss fit bleiben.

„Hauptsache, gesund!“

Zum Mittag gibt es viel Obst und Gemüse, Fleisch, keine Kohlenhydrate. Alles Bio. Unbehandelt.

Danach fährt sie zum Arzt. Routineuntersuchung. Wie fast jeden Tag irgendwo. Hautarzt, Augenarzt, Gynäkologe, Allgemeinmediziner, Orthopäde, Heilpraktiker.

Jedes Mal hat sie Angst. Vor dem, was so rauskommen könnte.

Im Wartezimmer liegt so eine christliche Zeitschrift. Darin ein Satz aus der Bergpredigt: „Sorgt nicht um euer Leben […]; auch nicht um euren Leib […].“ [Matthäus 6,25a] Jesus hat das gesagt. Und dann auf die Vögel verwiesen, und auf die Lilien. Wenn Gott schon die versorgt, dann sorgt er doch auch für seine Menschen!

Nun, Jesus war auch nicht 73 Jahre alt. Was kann der schon wissen?

Am späten Nachmittag nimmt sie die Walking-Stöcke. Geht laufen. Allein, so wie meistens. Die Freundinnen wollen vor allem reden unterwegs. Sie macht Tempo.

Auf DVD schaut sie alte Folgen von „Dr. House“.

Und abends liegt sie dann im Bett und horcht in sich hinein.

Achtet auf ihren Herzschlag. Spürt die Gelenke.

Schreckt sorgenvoll auf und misst ihren Puls.

Betrachtet die rote Stelle am Arm, cremt sie ein mit Pferdebalsam.

Lange kann sie nicht einschlafen. Liegt da und horcht.

[II.]

Das Smartphone piept.

Und gleich danach die Börsen-App. Gute Nachrichten von der Wall Street. Der Dax wird steigen. Und seine Aktien auch.

Übers Online-Banking schaut er sich den Kontostand an.

Ärgert sich über die Abbuchung des Kindergartenbeitrags. Unverschämt hoch.

Dann fährt er in die Firma.

Um drei vor sieben die „Anstöße“ im Radio. Heute was aus der Bergpredigt: „Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen.“ [Matthäus 5,44] Von Jesus soll das kommen.

Na ja, Jesus kannte seinen Kollegen nicht, aus dem Büro nebenan. Dieses dreckige Scheusal.

Der hat ihm den besseren Job weggeschnappt, vor wenigen Wochen erst. Und das bessere Gehalt.

Zum Mittag holt er sich nur schnell was vom Bäcker, während die anderen in der Kantine schlemmen.

„Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert.“

Am Schreibtisch träumt er von einer Yacht und einem kleinen Haus am Meer.

Vom neuen Volvo V90.

Zu Hause macht er die Steuer vom letzten Jahr.

Rechnet immer wieder durch, wie viel er sparen kann.

Schaut sich nochmal seinen Kontostand an.

Ärgert sich über die niedrigen Zinsen.

Und über seinen Kollegen.

Später liest er Stellenanzeigen. Ob er sich doch noch verbessern kann?

An seinen Ellbogen-Eigenschaften muss er dringend arbeiten. Ekliger werden. Die Konkurrenz ausstechen.

Und abends liegt er dann im Bett und grübelt.

Denkt an seinen Kollegen.

Fragt sich, wie er seinen Chef überzeugen kann.

Lange kann er nicht einschlafen. Liegt da und grübelt.

[III.]

Der Regen trommelt auf die Terrasse.

Sie streckt sich, wacht auf.

Sonntag.

Ausführliches Frühstück, ungesund und teuer.

Heute will sie in den Gottesdienst. Immer wieder mal geht sie da hin.

Die Predigt kommt. Sie hört den Predigttext. Matthäusevangelium, Kapitel 7:

„24 […] [W]er diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute. 25 Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein, denn es war auf Fels gegründet. 26 Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute. 27 Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein, und sein Fall war groß.“

Dieses Gleichnis erzählt Jesus, sagt der Pfarrer. Ganz am Schluss seiner Bergpredigt. Und die Bergpredigt, die meint er auch mit seinen einleitenden Worten: „diese meine Rede“.

Die Bergpredigt! Im Religionsunterricht haben sie die mal ganz gelesen. Und sie war fasziniert. Aber auch herausgefordert.

Was da alles drinsteht!

Zum Beispiel: „Sorgt nicht um euer Leben […]; auch nicht um euren Leib […].“

Oder: „Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen.“

Schon damals, als Schülerin, hat sie sich gefragt: Geht das überhaupt? Ist das nicht unmöglich?

Wie kann Jesus so was verlangen?

Und ganz am Anfang der Bergpredigt, da beginnt er mit den Seligpreisungen:

„Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.“ — „Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.“ — „Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden.“ [Matthäus 5,3-4.6]

Die gesellschaftlich Allerletzten — Jesus nennt sie glücklich … Völlig verrückt!

Später, am Nachmittag, besucht sie ihre Nachbarin.

Die ist noch jung. Aber sie sitzt im Rollstuhl, seit dem Unfall. Ist nur noch Haut und Knochen.

Einsam fühlt sie sich oft, sagt sie.

Und versteht es nicht.

Lange sitzen sie zusammen da und schweigen.

Voll Hunger und Durst.

Dann nehmen sie sich in den Arm.

„Gott segne dich“, sagt sie zum Schluss, und beide lächeln.

Abends im Bett denkt sie wieder an die Bergpredigt.

Ob sie ihre Sorgen loslassen kann?

Oder ihre Feinde lieben?

All das tun, was Jesus sagt?

„Selig sind …“

Sie denkt an ihre Nachbarin.

Und dann betet sie.

„Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme.“ [Nach Matthäus 6,9.10a]

… auch das steht in der Bergpredigt. Mittendrin.

[IV.]

Ein Platzregen fällt. Die Wasser kommen. Die Winde stoßen an das Haus.

Der Arzt schaut sie ernst an. Die Diagnose ist niederschmetternd.

„Nicht mehr lange“, sagt er nur.

Der Boden unter ihren Füßen wankt.

„Es tut mir leid“, sagt der Chef. „Wir können sie hier nicht mehr brauchen. Ihr Kollege macht das einfach besser.“

Er stürzt ins Bodenlose.

„26 […] [W]er diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute. 27 Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein, und sein Fall war groß.“

„24 […] [W]er diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute. 25 Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein, denn es war auf Fels gegründet.“

Als ihre Nachbarin stirbt, ist sie am Boden zerstört.

„Dein Reich komme“, betet sie.

Manchmal schreit sie es hinaus.

Danach fühlt sie sich ruhiger. Gehalten.

Sie weiß selbst gar nicht, woher das kommt.

In ihr drin ist ein ruhiger Ort.

Ein Ort voll Frieden und Zuversicht.

Wo er ist.

Jesus.

Dieser Jesus, der selbst gelitten hat. Selbst seine Feinde geliebt. Selbst alle Sorgen losgelassen.

Der Bergprediger, der so unverschämt viel fordert.

Ein Leben, radikal in Gottes Nähe.

Der geht mit ihr durch den Platzregen, die Wasser, die Winde.

An ihm hält sie sich fest.

Auf den setzt sie ihre Hoffnung.

Auf den baut sie.

Amen.

Daniel Renz, Pfarrer
Grundidee: Philipp Rottach, Pfarrer, Crispenhofen