„Wie wird man neu geboren?“/Jesaja 40,35-41

Predigt im Telefon-Gottesdienst am Sonntag, 19. April 2020 – Quasimodogeniti

   

Liebe Gemeinde,
 liebe Schwestern und Brüder im Glauben,

nun liegt das Osterfest, das Fest der Auferstehung Jesu Christi von den Toten, eine Woche zurück. Der heutige erste Sonntag nach Ostern trägt den Namen „Quasimodogeniti“ – das bedeutet: „Wie die Neugeborenen“.

In der Geschichte der Kirche ist dies der bevorzugte Tauftag. Sein Name weist darauf hin, dass nach der Auferstehung Jesu Christi von den Toten der Mensch, der auf seinen Namen getauft und in die Gemeinschaft des Auferstandenen aufgenommen ist, quasi ein neues Leben beginnt – ein 
Leben mit neuem Lebenshorizont, mit neuer Freude zur Lebensgestaltung, mit neuem Vertrauen auf den Herrn des Lebens, Jesus Christus.

Entsprechend wurde so auch die Taufe dargestellt: Der quasi alte Mensch wird durch Untertauchen im Wasser ertränkt. Im Auftauchen wird quasi ein neuer Mensch geboren: „Quasimodogeniti“.

Unser heutiger Predigttext will uns in der Geschichte Israels eine solches Ereignis zeigen, wie ein verzagtes und geistlich ermattetes Volk Israel zu einem Volk der Neugeborenen werden kann.

„Mit wem wollt ihr mich also vergleichen, dem ich gleich sei?, spricht der Heilige. Hebt eure Augen in die Höhe und seht! Wer hat all dies geschaffen? Er führt ihr Heer vollzählig heraus und ruft sie alle mit Namen; seine Macht und starke Kraft ist so groß, dass nicht eins von ihnen fehlt. Warum sprichst du denn, Jakob, und du, Israel, sagst: Mein Weg ist dem HERRN verborgen, und mein Recht geht an meinem Gott vorüber? 28 Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der HERR, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich. 29 Er gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden. 30 Jünglinge werden müde und matt, und Männer straucheln und fallen; 31 aber die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.“ [Jesaja 40,26-31]

Das von König David geeinte Reich Israel und das goldene Jerusalem des Königs Salomo haben eine Zeit des Friedens und des Wohlstands zur Folge. Aber im Lauf von fast 500 Jahren bekommt der einige Volksglaube an den Gott der Väter, den Gott der Erwählung und Bewahrung Risse – er bröckelt.

Auch heute fragen wir uns: Wo ist unser Gott?

Ist das gerecht, daß die Regierung ein Kontaktverbot ausspricht und wir nicht mehr zum Gottesdienst feiern in die Kirchen dürfen, wo doch Gemeinschaft in unserem christlichen Glauben so wichtig ist?

Wie wird es weitergehen?

Inwieweit sind wir persönlich von der aktuellen Situation betroffen, zum Beispiel durch geringere Einkünfte, weniger Sozialkontakte, Krankheit oder Verlust eines nahestehenden Menschen?

Im alten Israel zeigt sich nach einer langen Zeit des Wohlergehens ein politischer und wirtschaftlicher und religiöser Zerfall.

Und wir beobachten besorgt, dass auch in unserem heutigen Wohlergehen ein solcher Zerfall drohen könnte, die aktuellen Nachrichten bereiten uns große Sorgen, wie es mit unserer Wirtschaft in 2020 weitergehen wird. Prognosen sind derzeit nicht möglich, die Auswirkungen mit Sicherheit verheerend.

„Früher war alles besser“ – damals, als wir noch jung waren. Da gab es noch lebendiges Gemeindeleben, junge Gemeinde, Zeltlager und festliche Gottesdienste. Und heute?

Aktuell haben wir keine Gottesdienste und keinen Gemeindeveranstaltungen. Das kommt noch hinzu zu den sonst schon oft leeren Kirchen mit meist Menschen reiferen Alters oder den fusionierten Gemeinden mit Pfarrern, die vor lauter Verwaltung keine Zeit mehr haben für Seelsorge.

Vor einer Woche war Ostern

Wie können wir Christen wie Neugeborene sein? Was für ein Leben in unserem ehemals christlichen Abendland kommt auf uns zu? Gibt es noch einen lebendigen Gott, der in seiner Schöpfung und unserem Lebensraum noch regiert? 
Hat unsere Welt mit allen ihren Beschädigungen durch Klimaveränderung, Bedrohung durch Kriege, Verfolgung und Hunger, Sorge um die eigene Gesundheit und die Sorge um unseren Nächsten überhaupt noch eine Zukunft? 

Gibt es den lebendigen Gott der Bibel noch?

Wem wollt ihr euch anvertrauen? Den modernen Wahrsagern wie Zeitungshoroskopen, Fitness-Yogis oder Influenzern im Internet, denen wir hinterherhecheln und damit hoffnungslos bleiben?

Hier tritt der Prophet in unserem Text auf als einer, der trösten und überzeugen will, der mahnt und aufrüttelt: Im Vers 26 und 28 heißt es: „Hebt eure Augen in die Höhe und seht! Wer hat all dies geschaffen? […] seine Macht und starke Kraft ist so groß […] Warum sprichst du denn…und sagst: Mein Weg ist dem HERRN verborgen? Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der HERR, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich!“

Kraftvoll rüttelt der Prophet in unserem Text die Verzagten in Babylon auf: Wieso stellt ihr Juden damals und ihr Menschen der Gegenwart die Machtfrage: „Gibt es Gott?“ „Wer regiert“

Im Moment haben wir das Gefühl, daß ein kleiner, fieser Virus die Welt regiert und die Wirtschaft erheblich leidet, also regiert letztendlich „Geld die Welt“.

Danach kommen einige Politiker, die sich sehr wichtig nehmen. Aber erinnern wir uns doch an den berühmten Ruf Martin Niemöllers: „Die Herren dieser Welt kommen und gehen – aber unser Herr kommt!“

Entsprechend ruft der Prophet in den Versen 28 bis 31: „Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der HERR, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt. Er gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden. Jünglinge werden müde und matt […] und Männer straucheln und fallen; aber die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.“

Daran knüpft Jesus nahtlos an, wenn er im Johannesevangelium sagt: „Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht an mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. 
Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.“ [Johannes 15,4f.]

So macht uns heute der Prophet von damals Mut zu einem neuen Lebensstil und Lebensformat – eben wie ein neugeborener Mensch.

Wir dürfen uns an der aktuellen Situation auch freuen. Indem wir aufgeschlossen sind für Neues und trotz des räumlichen Abstandes doch näher zusammenrücken und aneinander denken. Zum Beispiel durch Telefonate, Briefe oder Internet-Gottesdienste.

Dabei muss aber klar sein – und das muss fairerweise auch gesagt werden: Ja, es gehört Mut dazu, dies in ungewohnter Weise auszuführen, und den Blick zu öffnen für Neues oder etwas anderes.

Im Moment werden wir „Umstände halber“ gezwungen unser Leben neu auszurichten.

Lassen wir uns einladen, eine Lebensgestaltung in Begleitung durch Jesus und sein Evangelium auszuprobieren.

Hauskreise und Bibelstunden müssen im Moment über Skype stattfinden. Aber die tägliche Bibellese mit App oder Losungsbüchlein können auch in diesen Zeiten helfen, dass unser Glaube neue Kraftnahrung bekommt, dass unsere Hoffnung und Lebenszuversicht auffährt mit Flügeln wie Adler, dass wir mit Gottvertrauen im Alltag wandeln und in Krisen und Verwerfungen des Lebens nicht müde werden.

Der Prophet Gottes bezeugt: Er gibt, Er gibt dem Müden Kraft und Stärke!

Christen, die von Ostern herkommen sind an der Kraftquelle für ihren Lebenslauf angeschlossen. Sie 
haben Lebenshoffnung und haben eine Zukunft – über den biologischen Tod hinaus. Mit Jesus im Bunde bist du nie zu alt und zu schwach und zu müde, neu zu denken, neu zu hoffen und neu dich einzumischen in die politischen und wirtschaftlichen und kirchlichen Herausforderungen der Gegenwart, denn: „… die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.“

In Jesu Namen –

Amen.

Heidrun Fink-Koch, Prädikantin, Marbach am Neckar