„Zwischen Himmel und Erde“/Offenbarung 21,1-7 mit Sieger Köders Bild „Ich sah das neue Jerusalem wie eine Braut“

Predigt im Gottesdienst in der Peterskirche am Sonntag, 22. November 2020 – Ewigkeitssonntag

   

 

Am Ewigkeitssonntag heute schlagen wir die Bibel ganz weit hinten auf. Hören wir Worte aus der Offenbarung des Johannes, aus Kapitel 21.

„1 Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. 2 Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. 3 Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; 4 und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. 5 Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht: Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiss! 6 Und er sprach zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. 7 Wer überwindet, der wird dies ererben, und ich werde sein Gott sein und er wird mein Sohn sein“. [Offenbarung 21,1-7]

Sieger Köder, ein berühmter Pfarrer und Maler, hat diesen Bibeltext in ein Bild gebracht. Man sieht es jetzt eingeblendet — oder hier in der Peterskirche auch auf den Karten an Ihrem Platz, die Sie nachher natürlich mitnehmen dürfen.

„Ich sah das neue Jerusalem wie eine Braut“, heißt das Bild. Wie im Predigttext.

Wer „sieht“ da eigentlich — im Text und auf dem Bild?

Die Offenbarung ist ein Buch, in dem Johannes weitergibt, was er von Gott gezeigt bekommen hat.

… und diesen Johannes, den sieht man hier auch im Bild. Sitzend in einem grünem Gewand.

Man kann dieses Bild in drei Abschnitte unterteilen.

1) … schauen wir erst mal ganz nach unten.

Johannes’ Füße, die sind auf einem kleinen braunen Felsbrocken. Drumherum das dunkle Meer.
Johannes war verbannt worden — auf die Insel Patmos. Wegen seines Glaubens an Jesus Christus durfte er nicht mehr dort weg. Dauerhaft verbannt — abgeschoben für den Rest des Lebens.

Patmos ist 34 Quadratkilometer groß. Das ist nicht sehr risig. Und auf dem Bild wird deutlich, wie Johannes diese Insel Patmos empfunden haben muss. Als winziges Gefängnis, in dem er sich nicht mal hin- und herbewegen kann. Da kann man nur sitzen und warten und … mehr eigentlich nicht.

… so kann man sich auch fühlen, wenn man um einen Menschen trauert, glaube ich. Verbannt. Abgeschoben. In irgendeinen fernen Winkel der Welt. Und man kommt nicht mehr raus aus der Trauer. Da kann man nur sitzen und warten und … mehr eigentlich nicht.

Ist es Zufall, dass auf dem Bild noch weitere Felsbrocken zu sehen sind? Alle genauso winzig und braun und trist …

Vielleicht siehst du dich auf einer dieser Inseln selber sitzen. Vielleicht haben auch Sie dort Platz genommen. Und drumherum ist nur das Meer der Traurigkeit. Wie soll ich weiterleben ohne diesen Menschen? Wo soll ich denn noch hingehen? Was soll schon kommen?

… ich find’s wichtig, dort hinzuschauen. Nach unten. Auf die Füße dieses Johannes.

… und diese Füße bleiben im Bild — egal, was wir auch sonst noch dort sehen.

… tun wir nicht so, als sei die Trauer irgendwann ganz vorbei. Und als sei alles irgendwann völlig abgeschlossen. Selbst wenn wir den Tod eines Menschen gut verarbeiten, bleibt dieser Tod ja immer Teil unserer Lebensgeschichte. Und prägt uns hier oder dort. Und kann auch plötzlich mal hochkommen, noch nach Jahren und Jahrzehnten. Und machen wir uns bitte keine Vorwürfe dann. Das ist normal. Das ist in Ordnung.

Mit den Füßen ist Johannes auf der Erde.

2) … aber sein Kopf ist ganz woanders. Schauen wir nach oben.

Mitten in der Verbannung, in diesem hintersten letzten Winkel der Welt, bekommt Johannes in einer inneren Vision die Zukunft gezeigt.

… und diese Zukunft strahlt groß und rot und hell in seine Gegenwart hinein.

… man sieht den Schein auf dem gesamten Horizont. Und sogar noch auf dem Felsbrocken. Und auch das Meer im Hintergrund glitzert davon.

Johannes sieht, wie es sein wird, wenn Gott Himmel und Erde neu macht.

… und er sieht hier zwei ganz verschiedene Bilder:

Da ist zum einen – außen – eine Stadt. Das „neue Jerusalem“, die göttliche himmlische Stadt.
„Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, …“
Die Bibel beginnt ja auf ihren ersten Seiten mit einem Garten. Mit nur zwei Menschen. Die Erzählung vom Paradies.

… und jetzt wird aus dem Garten eine Stadt. In der ganz viele Menschen Platz haben.
Gottes neue Welt ist also keine Rückkehr in die „gute alte Zeit“. In der alles so ist wie es früher nie war. Sondern es geht weiter. Und es bleibt interessant. Und aufregend.

„Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann.“

Innen sieht Johannes dieses zweite Bild: Die neue himmlische Stadt wird als Braut von ihrem Bräutigam umarmt. Alle Völker haben Platz in den Armen Gottes. Und in seiner Liebe.

… und dann wischt Gott unsere Tränen ab. Und der Tod hat keinen Platz mehr. Und Leid und Geschrei und Schmerz gibt’s auch nicht mehr.

Eine Stadt voller Liebe — man kann die Zukunft kaum spannender ausmalen. Keine Ahnung, woher die dröge Vorstellung kommt, im Himmel sitzen Menschen säuberlich sortiert auf Wolken und spielen gelangweilt Harfe. Aus der Bibel kommt das nicht, Gott sei Dank.

Johannes sieht das alles — und er zeigt es uns. Und wenn wir auf einer dieser anderen Inseln im Bild sitzen, dann können wir ihm vielleicht über die Schulter schauen. Und selbst einen Vorgeschmack bekommen auf Gottes neue Welt.

Mit den Füßen ist Johannes auf der Erde. Mit dem Kopf ist er im Himmel.

3) … und dazwischen? Schauen wir zum Schluss noch da hin.

Johannes hat was in der Hand. Ein Buch. Wo er das alles aufschreibt.

… aber wenn man von weitem schaut, dann sieht dieses Buch doch aus wie ein Herz.

… und ein Herz haben wir alle.

Das Herz ist genau dazwischen. Zwischen dem dunklen Boden der Tatsachen und Gottes heller Zukunft.

… in dieser Spannung leben wir, wenn wir trauern. Aber vielleicht auch überhaupt als Christen. Wir leben und lieben und lachen und weinen ja immer zwischen Himmel und Erde. Zwischen dem, was ist, und dem was kommt.

Manche von uns spüren jetzt eher ihre Füße auf der Erde.

Manche von uns spüren jetzt eher ihren Kopf im Himmel.

… und wir können uns gegenseitig nach oben und nach unten schauen lassen — je nachdem, was wir gerade brauchen.

… aber das Herz haben wir alle dazwischen. Das verbindet uns. Wo wir jetzt auch sind.

… und Gott verbindet uns. Unser Gott.

Amen.

Daniel Renz, Pfarrer