„Augen auf!“/Lukas 18,31-43

Predigt im Gottesdienst in der Peterskirche Murr am Sontag, 23. Februar 2020 – Estomihi/Faschingssonntag

Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht in Lukas 18,31-43 und ist in zwei Abschnitte untergliedert.

Der erste Abschnitt hat die Überschrift „Die dritte Ankündigung von Jesu Leiden und Auferstehung":

„Er nahm aber zu sich die Zwölf und sprach zu ihnen: Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn. Denn er wird überantwortet werden den Heiden, und er wird verspottet und misshandelt und angespien werden, und sie werden ihn geißeln und töten; und am dritten Tage wird er auferstehen. Sie aber verstanden nichts davon, und der Sinn der Rede war ihnen verborgen, und sie begriffen nicht, was damit gesagt war." [Lukas 18,31-34]

Und der zweite Abschnitt hat die Überschrift „Die Heilung eines Blinden bei Jericho":

„Es geschah aber, als er in die Nähe von Jericho kam, da saß ein Blinder am Wege und bettelte. Als er aber die Menge hörte, die vorbeiging, forschte er, was das wäre. Da verkündeten sie ihm, Jesus von Nazareth gehe vorüber. Und er rief: Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Die aber vornean gingen, fuhren ihn an, er sollte schweigen. Er aber schrie noch viel mehr: Du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Jesus aber blieb stehen und befahl, ihn zu sich zu führen. Als er aber näher kam, fragte er ihn: Was willst du, dass ich für dich tun soll? Er sprach: Herr, dass ich sehen kann. Und Jesus sprach zu ihm: Sei sehend! Dein Glaube hat dir geholfen. Und sogleich wurde er sehend und folgte ihm nach und pries Gott. Und alles Volk, das es sah, lobte Gott." [Lukas 18,35-43]

Liebe Gemeinde,

liebe Schwestern und Brüder im Glauben,

es geht in diesen Versen um das rechte Sehen.

Zwei verschiedene Erzählungen über Jesus sind zusammengefügt und verklammert durch Worte über das Sehen

Wer vom Sehen redet, muss auch das Gegenteil ins Auge fassen, das Nicht-Sehen-Können, die Blindheit.

Blind sein müssen ist ein schreckliches Los.

Der erblindete Mensch ist ausgeschlossen von allen Eindrücken, die wir durchs Auge in uns aufnehmen.

Zur Zeit Jesu in Palästina waren Blinde chancenlos.

Sie galten als unbrauchbare, nutzlose Esser, die als Bettler auf der Straße landen mussten.

Es war gesellschaftlich viel härter als heute bei uns, nicht sehen zu können.

Doch ungleich schlimmer als die körperliche Blindheit ist die geistliche Blindheit.

Hier verkörpern die Jünger die Blindheit für das, was Jesus leiden muss.

Blinde, verstockte Herzen, die das Wesentliche übersehen, gibt es zu viele und niemand von uns ist gefeit dagegen.

Darum ist es wichtig, dass wir uns von diesem Text zum rechten Sehen anleiten lassen.

Da heißt es am Anfang des Predigttextes, der auch der Wochenspruch ist:

„Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn." [Lukas 18,31]

Was hier aufgeschrieben ist, ist die dritte und letzte Leidensankündigung, die Jesus seinen Jüngern gegeben hat.

Jesus ist bei seinem Leiden und Sterben nicht wie ein argloses Opfer seinen Verfolgern in die Falle getappt.

Nein, er geht sehenden Auges dem dramatischen Ende seines Passionswegs entgegen.

Es ist seine feste Entschlossenheit, die wir hier bei ihm beobachten.

Er weiß von vornherein, dass sein Weg in das Leiden führt. Aber er weicht ihm nicht aus, sondern bleibt dem Willen seines Vaters gehorsam.

Klar und deutlich zählt er vor seinen Jüngern auf, was auf ihn zukommt:

Jesus sieht seinen schweren Weg voraus und geht ihn.

Nach Gottes Heilsplan muss dieser – sein Weg – ans Kreuz führen.

Dort wird Gott selbst die Versöhnung der Welt mit sich vollbringen. Das alles weiß und sieht Jesus voraus.

Am Anfang des Predigttextes heißt es:

„Es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn." [Lukas 18,31]

Jesus weiß sich als Vollender der Pläne Gottes zum Heil der Menschen. Ein Sehender sieht.

Und inmitten dieser göttlichen Pläne hat er zugleich ein Auge für die Not am Wegesrand bei Jericho.

Er sieht zugleich den armen, blinden, ausgestoßenen Bettler und hört ihn.

Jesus bleibt stehen und wendet sich ihm und seiner Not zu.

Er ist ganz für ihn da, kümmert sich um diesen Einzelnen, dessen Not er gesehen hat.

Noch auf dem Weg ins Leiden hinein sieht er die Menschen, die mit ihren Nöten zu ihm kommen.

Jesus übersieht keinen und nichts.

Mitten in all unserer Einsamkeit ist er da.

In unser gefühltes oder tatsächliches Isoliert-Sein fällt sein Blick.

Und wenn Jesus uns sieht, dann ist die Wende schon da. Ein Sehender sieht.

Da sind auch noch die zwölf Männer, die ihn auf seinem Erdenweg begleitet haben, die ihm am allernächsten ware, seine Taten gesehen, seine Worte gehört haben.

Diese zwölf Männer waren Zeugen, wie er sich ausgewiesen hatte vor allem Volk als der von Gott Beglaubigte und Bevollmächtigte.

Diesen zwölf Männern will Jesus den Weg erklären, den er gehen muss, den Weg ins Leiden, den Weg in den Tod.

Er will sie bei sich haben in seinen schweren Stunden. Darum gibt er ihnen Aufschluss über das, was ihnen bevorsteht. Mit sehenden Augen erkennen diese aber nichts. Ihre Augen sind blind für die Passion ihres Herrn.

Sie begreifen nicht, dass ihr Meister den Kreuzweg betreten hat, den Todesweg.

Sie verstehen nicht, dass sie ihn dabei begleiten sollen.

Dreimal hat Jesus ihnen sein Leiden vorausgesagt.

Dreimal haben sie ihn nicht verstanden. Bald werden sie wieder versagen im Garten Gethsemane.

Der Unverstand der Jünger reicht bis in die Zeit nach Ostern:

Sie verhalten sie sich immer wieder wie Leute, die ihm und seinen Worten nicht wirklich trauen.

Und so wenig wie die Jünger Verständnis haben für die Passion ihres Meisters, so wenig haben sie Verständnis für die Passion des blinden Bettlers am Wegrand.

Er war einer von den Ausgestoßenen, für die keiner etwas übrig hatte, einer der am Rande der Gesellschaft, auch der frommen Gesellschaft, lebte.

Dieser Blinde hört Jesus kommen. Er muss mitbekommen haben, dass der Mann aus Nazareth Wunder tun und Kranke gesund machen kann. Der Blinde ruft nun zu Jesus. Von keinem Widerstand lässt er sich abhalten: „Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner!" [Lukas 18,38]

Er redet Jesus als den Messias an, als den von Gott verheißenen Gesalbten. Und mit diesem Bekenntnis stellt sich der Randsiedler neben den Jünger Petrus, der auch schon bekannt hat: „Du bist der Christus Gottes!" [Lukas 9,20b] 

Das zu erkennen und das zu bekennen, liebe Gemeinde, ist das noch größere Wunder als die Heilung.

Nicht das medizinische, sondern das geistliche Heilungswunder bestimmt diese Verse.

Bevor der Blinde mit leiblichen Augen sehen kann, geht ihm ein inneres Licht auf über Jesus als seinen Retter.

Fleisch und Blut haben es ihm nicht offenbart. 

Sondern Gott selbst, der Vater im Himmel, hat ihn erleuchtet durch seinen Geist, ohne den kein Mensch zu Jesus kommen oder an ihn glauben kann.

Bei diesem Blinden kam es zum inneren und dann vollends auch zum äußeren Sehen.

Er wurde nicht nur sehend, er folgte auch Jesus nach und lobte Gott für das, was an ihm geschehen war.

Und ich denke, er begann früher als die Jünger zu begreifen, dass Christus sterben muss, begraben wird und auferstehen wird am dritten Tage.

Sein Leidensweg ist der einzig richtige und notwendige Heilsweg auch für uns.

„Dein Glaube hat dir geholfen" [Lukas 18,42], heißt es. Dieser Blinde hat sich Jesus anvertraut und ist doppelt sehend geworden, geistlich und körperlich.

Dieser Blinde, den Jesus geheilt hat, ist nun der in Wahrheit Sehende, weil er der Glaubende ist.

Das ist das Wunder des göttlichen Wortes, dass es Menschen auch an den Rändern der Gesellschaft erreicht und trifft, von denen wir es nie gedacht hätten. 

Es sind solche, die ohne jede Voraussetzung kommen, die nichts mitbringen als ihre Hilflosigkeit, als ihre leeren Hände und ihr ganzes Vertrauen:

Dieser Herr kann helfen. Kein Ding ist ihm unmöglich.

Und für Euch noch eine kleine närrische Zusammenfassung der Predigt:

Es bietet sich an, an närrischen Tagen
etwas in Reimform auszusagen.
So will auch ich mich in dieser Kunst bewähren
und fragen: Was will uns die Bibel lehren?

Drum: Hört mal alle her, Ihr lieben Leute, 
Karneval und Fassenacht, die feiern heute
Jecken und Narren auf der ganzen Welt
und fragen, was uns eigentlich erhält.

Freude, Zuversicht und Sinn,
ja, das steht schon in der Bibel drin:
Wir müssen nicht warten, dass einer uns heilt,
wir müssen nur lernen, wie kostbar die Zeit,

und einfach uns sagen bei gutem, bei schlechtem Lauf:
Menschenkind, mach doch die Augen auf!

Amen.

Heidrun Fink-Koch, Prädikantin, Marbach am Neckar
Predigtvorlage: Hans-Georg Erdmannsdörfer, Pfarrer, Belsenberg