„Ein besonderer Mitbewohner“/Johannes 14,23-27

Predigt im Gottesdienst in der Peterskirche am Sonntag, 24. Mai 2015 – Pfingstsonntag

Gottes Wort für den Pfingstsonntag heute steht im Johannesevangelium, in Kapitel 14. Da hören wir von einem besonderen Mitbewohner. Ich lese die Verse 23 bis 27.

Jesus […] sprach […]: Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen. Wer aber mich nicht liebt, der hält meine Worte nicht. Und das Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort, sondern das des Vaters, der mich gesandt hat. Das habe ich zu euch geredet, solange ich bei euch gewesen bin. Aber der Tröster, der heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe. Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.

… ein Hausbesitzer erzählt:

Da hab‘ ich doch seit kurzem einen neuen Untermieter in meiner Wohnung. Einen Mitbewohner. Den Herrn Tröster.

… obwohl: Ob er nun ein Mann ist oder eine Frau oder beides, der Tröster, … das weiß ich gar nicht so genau. Ich hab’ ihn nämlich noch nie gesehen … Ja, das ist schon ein ganz besonderer Mitbewohner!

Schon die Geschichte, wie er eingezogen ist bei mir … Eigentlich hatte ich ja schon zwei andere für meine Wohnung! Einen Vater mit seinem Sohn … Mit denen hat alles gepasst! Die beiden hab’ ich gemocht. Und sie wollten die Wohnung nehmen! Aber irgendwie meinten sie dann, der Tröster sei der Richtige für mich. Sie würden ihn bald vorbeischicken. Der Vater hat den Vertrag gleich unterschrieben für ihn. Und zwar mit dem Namen seines Sohnes. Das war den beiden irgendwie wichtig …

… das klingt alles sehr komisch, ich weiß. Und dubios. Vielleicht hätte ich misstrauisch werden müssen. Aber alle Furcht war wie weggewischt. Und noch am selben Tag war die Miete auf meinem Konto. Weit im Voraus.

… und dann kam er eines Tages tatsächlich, der Tröster. Ganz plötzlich – und doch passend. Er hat nicht geklingelt, er hat nicht geklopft. Unsichtbar zog er ein bei mir. Aber ich hab’ ihn sofort gespürt. Es hat sich genauso angefühlt wie damals mit dem Vater und dem Sohn. Als ob die beiden auch wieder da wären. Dieser Tröster muss irgendwie verwandt sein mit ihnen. Ganz durchschaut hab’ ich’s noch nicht …

Seit er da ist, herrscht ein ganz neuer Geist in meiner Wohnung. Dinge werden neu, verändern sich zum Guten. Frischer Wind weht durchs Haus.

… das meine ich auch ganz wörtlich: Seit der Tröster bei mir wohnt, sind die Fenster regelmäßig auf. Der Frühling kommt, und der Mief ist weg. Manche Dinge merkt man ja erst, wenn sie weg sind … Früher wollte ich in meinem alten Trott bleiben. Ich hatte die Fenster meistens zu. Und dreckig waren sie … Seit der Tröster sie gründlich geputzt hat, ist es richtig hell in der Wohnung. So manches Möbelstück erschien da in ganz neuem Licht! Und manche Sachen hab’ ich ganz neu entdeckt. Was ich alles habe! Wie gut es mir geht!

Ja, er greift schon ordentlich ein, der Tröster. Da kennt er nichts. Irgendwann hab’ ich gemerkt, dass der große Teppich in meinem Wohnzimmer fehlt. Der Teppich, unter den ich alles druntergekehrt hatte, jahrelang. Meinen Frust. Meinen Ärger. Meine Bitterkeit. Meine Schuld. Das Laufen wurde ganz schön schwierig mit der Zeit … All das kann ich jetzt nicht mehr verbergen. Ich muss es nicht mehr verbergen. Ich kann es angehen, mit meinem Mitbewohner teilen … Und so manchen Schrott haben wir schon entsorgt.

Sogar das Kabuff ganz hinten im Keller steht jetzt offen. Das Kabuff, wo ich meine Verletzungen von früher versteckt habe. Die ganz dunklen Erfahrungen. Es ist noch schwer für mich, auch wirklich hineinzugehen. Das braucht Zeit. Neulich stand ich mal auf der Schwelle. Tränen schossen mir in die Augen. Alles war wieder da. Aber es war gut, da zu stehen. Und es war so, als ob mir jemand über die Schulter streicht. Mir den Rücken stärkt. Mich tröstet.

In meinem Badezimmer hängt jetzt endlich wieder ein Spiegel. Den hatte ich irgendwann abgehängt. Ich konnte mir nicht mehr in die Augen sehen. Ich bin erschrocken vor mir selbst, vor meiner verlogenen Art. Ich mochte mich nicht mehr anblicken. Jetzt kann ich es. Und ich freu’ mich über mein Leben.

Auf den Badezimmerspiegel, mittendrauf, hat der Tröster auch noch was draufgeschrieben. Mit grellem Lippenstift. 'Hier siehst du einen von Gott geliebten Menschen.' Ich bin geliebt. Von Gott. Ich bin was wert. Viel wert. Kostbar. Das wusste ich schon vor langer Zeit mal. Aber ich hatte einfach nicht mehr dran gedacht. Da ist so viel anderes auf mich eingeströmt. Da waren so viele andere Stimmen über mich. Es ist so, als ob der Tröster mich nun wieder dran erinnert …

In meinem Kleiderschrank hab’ ich ganz neue Klamotten gefunden. Früher war meine Garderobe sehr einheitlich. Grau in grau. Jetzt sind da richtig bunte und gewagte Stücke mit dabei. Und manche stehen mir sogar. Ich entdecke neue Seiten an mir.

Manches kommt sehr überraschend. Neulich wollte ich ins Arbeitszimmer. Am Sonntag Nachmittag. Es war noch so viel zu erledigen … Aber ich hab’ den Weg nicht gefunden. Wie ich auch gelaufen bin, … ich bin immer auf der bequemen Couch gelandet. Und was zu trinken war da eingeschenkt. Am Montag war das Arbeitszimmer wieder da. Und die Stapel nur noch halb so hoch.

Etwas anderes wiederum ist weggekommen, seit der Tröster bei mir wohnt. Die Bücher im Regalfach ganz unten. Da hatte ich ganz genau vermerkt, wann welcher Nachbar gegen welche Regel verstoßen hat. Um es später nachweisen zu können! So ist das halt auf der Welt. Man muss gucken, wo man bleibt. Es wird einem nichts geschenkt! Früher hab’ ich ganze Nächte verbracht, diese Bücher zu füllen. Und mir einzureden, dass ich schon besser bin als alle anderen. Jetzt sind die Bücher weg. Und ich vermisse sie nicht.

… überhaupt – meine Nachbarn … In den Wohnungen ringsherum. Früher hab’ ich die überhaupt nicht verstanden. Wir haben einfach nicht dieselbe Sprache gesprochen. Wir kamen aus ganz unterschiedlichen Welten.

… aber seit der Tröster bei mir wohnt, versteh’ ich meine Nachbarn. Und sie mich. Zuerst war das verwirrend. 'Was will das werden?', haben wir uns gefragt. Wir hatten Angst, uns zu begegnen. Aber seitdem entdecken wir immer mehr Gemeinsamkeiten. Und wir merken, wo wir uns ergänzen. Neulich hatte jemand was zu reparieren. Und in meinem Hobbyraum hab’ ich just das passende Werkzeug gefunden. Von dem wusste ich vorher gar nichts …

Die falschen Fassaden vor unseren Türen haben wir abgebaut. Wir müssen uns nichts mehr vormachen. Kein falsches Spiel mehr spielen.

Wir laden uns auch ein, besuchen uns gegenseitig. Auch bei mir zu Hause haben wir schon gefeiert. Egal, wie viele kamen: Die Stühle haben gereicht. Und der Esszimmertisch wurde immer größer, je mehr Platz genommen haben … In meiner Küche hab’ ich endlich mal wieder richtig frisch gekocht. Und nicht nur ständig die alten Geschichten wieder aufgewärmt …

Das war ein himmlischer Abend. Wie im Himmel. Und am Schluss haben wir sogar gesungen miteinander. Vielstimmig und doch gemeinsam. Mit toller Musik im Hintergrund. Den Text hab’ ich noch genau im Ohr: "… denn der Geist der Gnaden hat sich eingeladen, machet ihm die Bahn! Nehmt ihn ein, so wird sein Schein euch mit Licht und Heil erfüllen und den Kummer stillen."

… da war es so, als ob man den Tröster mit Händen greifen kann. Da war er da. Unsichtbar, wie er ist. Und dann war es einfach still. Tiefer Friede war unter uns. Friede, wie es ihn sonst nicht gibt. Und ich konnte nur noch ein einziges Wort sagen:

'Amen.'

Daniel Renz, Pfarrer